Interview mit Frank Schöberl, in: Evangelischer Gemeindebote Kirchheim, Ausgabe 10/11 2020

15. Oktober 2020 // Abdruck mit freundlicher Genehmigung

 

Herr Schöberl, seit vielen Jahren schon arbeiten und engagieren Sie sich für Menschen in der letzten Lebensphase. Wie kam es dazu?

 

In meinen ersten Berufsjahren als Gesundheits- und Krankenpfleger habe ich die Erfahrung gemacht, dass zwar viele Menschen in der Klinik sterben, dass es aber keine verlässliche Kultur der Sterbebegleitung in der Klinik gab. Das hat mich damals schon sehr bewegt, wie die Unerfahrenheit und Unsicherheit das Verhalten gegenüber Sterbenden geprägt hat. Hier konnte ich aber trotzdem erste eigene Erfahrungen in der Sterbebegleitung machen, und merken, wie mein Interesse wächst. Im Hospiz wurde mir die Chance gegeben, das zu meinem Schwerpunkt zu machen. Dort habe ich mich von Anfang an wohl gefühlt. Über die Jahre konnte ich viel lernen und mein Wissen vertiefen. Inzwischen bin ich auch ehrenamtlich im Vorstand des Hospiz- und Palliativverbandes Baden- Württemberg tätig, um die Strukturen für die Begleitung Sterbender zu verbessern. Außerdem unterstütze ich aktiv die „Letzte Hilfe“ Bewegung. Analog zur „Ersten Hilfe“ wollen wir möglichst vielen Menschen ein Grundwissen über die letzte Lebensphase vermitteln und sie darin unterstützen, diese gut zu begleiten.

 

Welche Bedeutung hat Ihr Glaube in diesem Engagement?

 

In der christlichen Tradition finde ich einen großen Schatz, der mich bis heute im Alltag trägt und der für mich in der Begleitung Sterbender besonders erfahrbar wird.

 

Was schätzen Sie besonders an der Arbeit im Hospiz?

 

Es ist so wertvoll, Menschen in der letzten Lebensphase gut begleiten zu können. Das motiviert mich. Entgegen der bekannten Aussage „Wir können jetzt nichts mehr für Sie tun“ wissen wir im Hospiz sehr wohl, dass man noch viel tun kann. Denn auch, wenn man das Fortschreiten einer Krankheit nicht aufhalten und körperlich nicht „heilen“ kann, kann man viel tun: körperliche und seelische Leiden lindern. Auf anderen Ebenen kann am Lebensende sogar noch ganz viel „Heilsames“ geschehen, wenn es Raum dafür bekommt.

 

Können Sie kurz erklären, was das Ziel der Hospizbewegung und eines stationären Hospizes ist?

 

Der Hospizbewegung geht es darum, Menschen zu ermöglichen, in vertrautem Umfeld zu sterben. Das müssen nicht zwingend die eigenen „vier Wände“ sein. Ein vertrautes Umfeld ist da, wo sich jemand sicher fühlt, wahrgenommen fühlt und vertraute Menschen um sich hat.

Wo ich keine Angst haben muss, jemandem zur Last zu fallen. Und keine allzu große Angst vor den Problemen haben muss, die Krankheiten mit sich bringen können. Die Grundidee der Hospizbewegung ist es, dieses Angebot an allen Orten zu allen Zeiten und für alle Menschen verfügbar zu machen.  Ein stationäres Hospiz wie das „Hospiz Louise“ ist für die Menschen gedacht, die in der Sterbephase in ihren heimischen vier Wänden eine ihnen entsprechende Versorgung nicht mehr aufrechterhalten können. Zum Beispiel, weil dort niemand ist, oder weil die, die da sind, mit der Situation über- fordert sind. Sei es aus medizinischen, emotionalen oder sonstigen Gründen.

Ein Beispiel: Ich erinnere mich an einen 70- jährigen Mann, den wir mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung ins stationäre Hospiz aufgenommen haben. Er hatte eine große Familie, die Ver- hältnisse waren sehr herzlich. Die Familie sagte, sie schaffen es zu Hause einfach nicht, mit dem Krankheitsbild und der ganzen Situation umzugehen. Der Betroffene selber war sehr schweigsam, er sagte aber wiederholt „Dahom ist Dahom“. Nachdem er eineinhalb Wochen im Hospiz war, meldete die Familie Gesprächsbedarf. Sie wollten den Vater wieder mit nach Hause nehmen, weil sie in diesen eineinhalb Wochen Sicherheit mit der Situation gewonnen haben und sich die Begleitung zugetraut haben. Das hat mich sehr gefreut. Für mich war das ein besonderer Moment, wo die Umsetzung der Hospizidee in einem besonderen Maße gelungen ist.

 

„Sterben in vertrautem Umfeld an allen Orten und zu allen Zeiten“ zu ermöglichen, das ist ein wunderbares Ziel – davon sind wir in unserer Gesellschaft noch weit entfernt. Die neuste Statistik des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes besagt, dass 77% der Deutschen in Pflegeheimen oder Kliniken versterben. Wie können wir es schaffen, uns diesem Ziel zu nähern?

 

Das geht nur, wenn wir gemeinsam und als Gemeinschaft mitwirken. Gibt es jemanden, der auf mich zukommt, wenn ich krank bin, den ich an- sprechen kann, wenn ich über mein Sterben nach- denke? Da gibt es im Moment noch zu wenige Anlaufstellen.

Es braucht ehrenamtliche Hospizhelfer, es braucht Profis im ärztlichen und pflegerischen Bereich. Auch braucht es Unterstützung aus verschiedenen therapeutischen Bereichen und aus der Seelsorge. Alle müssen gut zusammenarbeiten. Und es braucht ein gutes Grundwissen über das Sterben in unserer Gesellschaft.

 

Was raten Sie jemandem, der merkt, dass ein nahestehender Mensch aufs Sterben zugeht?

 

Empfehlen kann ich, sich möglichst frühzeitig zu informieren, welche Hilfen es im häuslichen Umfeld gibt. Es gibt zum Beispiel in Heidelberg eine gut aufgestellte ambulante Hospizhilfe, die am Diakonischen Werk angesiedelt ist; das sind qualifizierte Ehrenamtliche, die zu den Menschen kommen, die beraten können, die ein offenes Ohr haben und die regelmäßig den Schwerkranken und seine Familie besuchen können. Es gibt aber auch spezielle Palliative Care Teams, in denen Ärzte und Pflegende eng zusammenarbeiten und die nach Hause kommen, um schwerkranke Menschen zu Hause zu versorgen und beratend zu begleiten. Es ist auch gut, sich frühzeitig die Frage stellen, was passiert, wenn es zu Hause mal nicht mehr geht und sich z.B. in einem – oder mehreren – Hospizen anzumelden.

Es gilt, je früher ich mich informiere und kümmere, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein gutes Bleiben im Vertrauten möglich ist. Dies gelingt umso besser, wenn ich mir Gedanken über die letzte Lebensphase machen kann, bevor ich mich plötzlich mit all den Herausforderungen in ihr wieder finde.

 

Bei manchen Menschen ist die Angst vor Schmerzen, die Angst, im Sterben ausgeliefert zu sein, so groß, dass sie lieber selber und bewusst ihrem Leben ein Ende setzen möchten.

 

Meine Erfahrung ist, dass der Wunsch nach einem selbst herbei geführten Tod sich ganz oft erübrigt, wenn Menschen sich in dem Umfeld, in dem sie die letzte Lebensphase verbringen, geborgen und sicher fühlen, eben wenn das Umfeld vertraut ist und sie dem Umfeld vertrauen können. Das Ziel hospizlicher Arbeit ist, dass kein Mensch mehr den Tod selber herbeiführen möchte, weil er Angst vor den Sterben hat. Darüber hinaus belegen Studien, dass schwerkranke Menschen, die frühzeitig palliativ versorgt werden, länger und besser leben als die, bei denen kurative Therapien maximal angewendet werden. Gegen die Angst, im Sterben ausgeliefert zu sein, hilft die Palliativversorgung. Sie verhindert unnötiges Leid, das durch Unter- oder Überversorgung entstehen kann.

 

Ich höre in Gesprächen immer wieder einen Satz wie: „Ich würde so gerne mit meiner Mutter / meinem Vater / meiner Freundin darüber reden, was wir tun sollen, wenn es ihr noch schlechter geht, aber sie will einfach nicht.“ Was würden Sie dazu sagen?

 

Auch wenn der oder die Betroffene nicht darüber reden will, ist es gut, sich selber zu informieren. Denn dann werden eigene Ängste durch Informationen ersetzt. Das wirkt bei mir selber als Angehöriger, und das wird indirekt auch auf den Betroffenen wirken. Hilfe wird oft wenig oder erst sehr spät angenommen, weil entweder nicht erkannt oder nicht anerkannt wird, dass die letzte Lebensphase begonnen hat. Dadurch erst entsteht viel Not. Deswegen ist es oft so hilfreich, wenn auch nur einer in der Familiensituation sich mit dem Thema auseinander gesetzt hat.

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.